Das BFS berechnet seit 2006 eine Wiederverurteilungsrate für Erwachsene und Minderjährige nach Verurteilungsjahr.
Dazu wird die Zahl der in einem bestimmten Jahr verurteilten Personen mit der Zahl der Personen ins Verhältnis gesetzt, die innerhalb der drei Jahre nach dieser ersten Verurteilung erneut eine Straftat begehen und für diese verurteilt werden.
Um den Einfluss von Vorstrafen einzubeziehen, wird geprüft, ob diese Personen in den drei Jahren vor dem Referenzurteil bereits verurteilt wurden, das heisst, ob sie vorbestraft waren.
Jährliche Rückfallraten nach einem Referenzereignis
Rückfall nach einer Verurteilung (bei der keine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verhängt wurde)
Rückfall nach einer Entlassung
Das BFS berechnet auch eine Wiederverurteilungs- und Wiedereinweisungsrate nach Entlassungsjahr. Als wiederverurteilt werden in diesem Rahmen alle Schweizer Erwachsenen bezeichnet, die innerhalb von drei Jahren nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug ein Vergehen oder ein Verbrechen begehen, das eine erneute Verurteilung zur Folge hat. Als wiedereingewiesen werden alle Schweizer Erwachsenen bezeichnet, die innerhalb von drei Jahren nach einer Entlassung aus dem Strafvollzug wieder ein Verbrechen oder Vergehen begehen, dafür erneut verurteilt und wieder in den Vollzug eingewiesen werden.
Langzeitbeobachtungen der Rückfallrate für ausgewählte Geburtsjahrgänge
Risikofaktoren für eine Wiederverurteilung straffälliger Minderjähriger im Erwachsenenalter, 1999 -2015
Diese dritte Publikation setzt die Studie von 2017 fort und ergänzt sie.
- Sie enthält vertiefende statistische Tests, mit denen bei einer Gesamtbetrachtung der Risikofaktoren der Einfluss jedes einzelnen Faktors herauskristallisiert werden kann.
- Sie berücksichtigt auch die Ausländerinnen und Ausländer mit C-Bewilligung.
- Sie untersucht, wie viel Zeit zwischen der Straftatbegehung und der Verurteilung durch ein Jugendgericht vergeht und ob die Zeitnähe des Urteils zur Straftatbegehung den Rückfall im Erwachsenenalter beeinflusst.
- Sie differenziert die Art der im Jugendalter begangenen Straftaten detaillierter.
Darüber hinaus vertieft sie nicht nur die in der Studie von 2017 gestellten Fragen «Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine im Jugendalter mindestens einmal verurteilte Person im Erwachsenenalter erneut straffällig wird und welche Faktoren beeinflussen diesen Rückfall?» sondern ergänzt sie durch die folgenden Fragen: «Wie unterscheidet sich die Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter wiederverurteilt zu werden, gemessen daran, ob die Person bereits im Jugendalter verurteilt wurde oder nicht und gibt es andere Einflussfaktoren, die eine Verurteilung im Erwachsenenalter erklären?».
Um diese Fragen zu beantworten, wurden zwei Datensätze gebildet. Dabei wurden die neu aufgeworfenen Fragen zuerst analysiert.
In diesem Sinne wurde die Frage «Welche Faktoren beeinflussen das Risiko, im Erwachsenenalter verurteilt zu werden?» anhand eines ersten Datensatzes aus 95 695 Personen (davon 7 428 mit Jugendstrafurteil) analysiert.
Das logistische Regressionsmodell zeigt folgende Ergebnisse:
Variablen in der Gleichung | Odds Ratio | 95%-Vertrauensintervall | p-Wert | |
---|---|---|---|---|
Geschlecht | 5,41 | 5,04 | 5,808 | <0,0001 |
Jugendurteil | 4,83 | 4,541 | 5,138 | <0,0001 |
Nationalität | 1,206 | 1,117 | 1,303 | <0,0001 |
Konstante | <0,0001 |
Die drei verfügbaren Variablen haben einen signifikanten Einfluss (bei einem Signifikanzniveau von 0,05) auf eine Verurteilung im Erwachsenenalter.
- Das Geschlecht ist die Variable mit der stärksten Vorhersagekraft: Bei Männern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Erwachsenenalter verurteilt werden, 5,4-mal höher als bei Frauen.
- Ein Jugendurteil erhöht das Risiko einer Verurteilung im Erwachsenenalter um das 4,8-Fache.
- Auch die Nationalität hat einen signifikanten, aber dennoch sehr geringen Einfluss auf das Verurteilungsrisiko im Erwachsenenalter (Personen mit C-Bewilligung weisen ein um 1,2-mal höheres Risiko auf als Schweizerinnen und Schweizer).
Mit dem Indikator R2 von Nagelkerke, der zwischen 0 und 1 liegt, lässt sich die Gesamtqualität des logistischen Regressionsmodells beurteilen. Wenn der R2 bei kriminologischen Analysen höher ist als 0,20, kann das Modell als zufriedenstellend betrachtet werden. Es erklärt 20% der Variation der abhängigen Variable. Der R2 des Modells gibt an, dass der durch die drei unabhängigen Variablen erklärte Varianzanteil 15,27% beträgt.
Anschliessend wurde aus diesem ersten Datensatz auf der Grundlage der Frage «Welche Faktoren beeinflussen das Rückfallrisiko im Erwachsenenalter?» ein zweiter gezogen, der sich auf die 7 428 mindestens einmal von einem Jugendgericht verurteilten Personen beschränkt.
Das logistische Regressionsmodell zeigt folgende Ergebnisse:
Variablen in der Gleichung | Odds Ratio | 95%-Vertrauensintervall | p-Wert | ||
---|---|---|---|---|---|
Geschlecht | 3,8 | 3,186 | 4,534 | <0,0001 | |
Anzahl Jugendurteile | 4 VS 1 | 1,908 | 1,348 | 2,702 | 0,0003 |
3 VS 1 | 1,44 | 1,098 | 1,89 | 0,0085 | |
Straftat gegen die öffentliche Gewalt (Titel 15 StGB) | 1,882 | 1,329 | 2,667 | 0,0004 | |
Anzahl Straftaten | 4 VS 1 | 1,566 | 1,195 | 2,053 | 0,0011 |
3 VS 1 | 1,528 | 1,218 | 1,917 | 0,0003 | |
Fahrzeug- entwendung (Artikel 94 SVG) |
1,529 | 1,24 | 1,884 | <,0001 | |
Straftaten gegen die Ehre (Titel 3 StGB) | 1,454 | 1,085 | 1,947 | 0,0121 | |
Fahren ohne Berechtigung (SVG Artikel 96) | 1,411 | 1,031 | 1,93 | 0,0315 | |
Straftaten gegen Leib und Leben (Titel 1 StGB) | 1,374 | 1,171 | 1,612 | <,0001 | |
Alter bei der Straftat des letzten Jugendurteils (<16 Jahre VS >16 Jahre) | 1,347 | 1,187 | 1,529 | <,0001 | |
Handel mit Betäubungsmitteln | 1,285 | 1,01 | 1,634 | 0,0411 | |
Schweregrad der Straftaten | Verbrechen VS Übertretung | 1,271 | 1,073 | 1,506 | 0,0055 |
Straftaten gegen das Vermögen (Titel 2 StGB) | 1,197 | 1,043 | 1,373 | 0,0104 | |
Konstante | <,0001 |
Gemäss den Ergebnissen des logistischen Regressionsmodells ist das Geschlecht der verurteilten Person die Variable mit der grössten Vorhersagekraft zur Beurteilung des Rückfallrisikos im Erwachsenenalter. Verglichen mit den Ergebnissen der bivariaten Analysen ist ihr Einfluss allerdings geringer. Die Odds Ratio zeigt jedoch, dass jugendliche Straftäter als Erwachsene fast viermal stärker rückfallgefährdet sind (3,8-mal) als jugendliche Straftäterinnen.
Die Anzahl der Jugendstrafurteile steht im logistischen Regressionsmodell an zweiter Stelle. Diese Variable ist aber erst ab einer Differenz von 3:1 signifikant. Das bedeutet, dass eine Person, die zweimal von einem Jugendgericht verurteilt wurde, im Erwachsenenalter kein signifikant höheres Rückfallrisiko hat als eine Person, die als Jugendliche nur einmal verurteilt wurde. Personen mit mindestens vier Verurteilungen im Jugendalter sind hingegen nach Erreichen ihrer Volljährigkeit nahezu doppelt so stark rückfallgefährdet (1,9-mal) wie Jugendliche mit nur einer Verurteilung.
Eine Straftat gegen die öffentliche Gewalt erhöht das Rückfallrisiko im Erwachsenenalter um mehr als das 1,5-Fache (1,88-mal höher). «Ein Jugendurteil wegen einer Straftat gemäss Titel 15 StGB» liegt somit an dritter Stelle der berücksichtigten Variablen.
An vierter Stelle folgt die Zahl der verübten Straftaten. Jugendliche, die mindestens drei verschiedene Straftaten begangen haben, weisen im Erwachsenenalter ein 1,5 -malhöheres Rückfallrisiko auf als solche, die nur wegen einer Straftat verurteilt wurden.
Im bereinigten Modell der logistischen Regression sind unter den Straftaten gegen das SVG nur die Fahrzeugentwendung und das Fahren ohne Berechtigung enthalten und weist eine Erhöhung des Rückfallrisikos um en 1,5 Faches aus.
Auch eine Verurteilung wegen einer Straftat gegen die Ehre, gegen Leib und Leben, gegen das Vermögen oder wegen Handel mit Betäubungsmitteln sowie die Begehung einer Straftat nach dem 16. Altersjahr machen einen Rückfall im Erwachsenenalter wahrscheinlicher. Das Risiko erhöht sich um das 1,45 Fache, das 1,37 Fache, das 1,20 Fache, das 1,29 Fache respektive das 1,35 Fache.
In Bezug auf den Schweregrad der Straftat besteht einzig zwischen einer Übertretung und einem Verbrechen ein signifikanter Unterschied (p-Wert = 0,0055). Anders ausgedrückt verändert die Tatsache, ob ein Verbrechen oder eine Übertretung begangen wurde, die Rückfallwahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter nicht signifikant.
Straffällige Jugendliche und Rückfallraten im Erwachsenenalter: Jugend- und Erwachsenenstrafurteilsstatistik 1999 bis 2015
Das BFS hat untersucht, wie viele in der Jugendstrafurteilsstatistik erfasste Straftäterinnen und Straftäter später auch in der Strafurteilsstatistik der Erwachsenen auftauchen.
Dazu wurde eine Gruppe von 6 649 im Jahr 1992 in der Schweiz geborenen minderjährigen Schweizer Staatsangehörigen ausgewählt, die eine Straftat gegen das Strafgesetzbuch (StGB), das Strassenverkehrsgesetz (SVG) oder das Betäubungsmittelgesetz (BetmG) begangen haben. Die Analyse kam zum Schluss, dass 25 Prozent dieser im Jugendalter straffällig gewordenen Personen (1 664 Personen) im Alter von 18 bis 23 Jahren von einem Erwachsenengericht erneut verurteilt wurden.
Die Männer sind nicht nur bei den verurteilten Jugendlichen übervertreten (73% Jungen und 27% Mädchen), sie begehen auch häufiger nach Erreichen der Volljährigkeit weitere Straftaten. Als Minderjährige verurteilte Jungen weisen ein nahezu viermal so hohes Risiko auf, in der Folge durch die Erwachsenenstrafjustiz verurteilt zu werden, als Mädchen (Rückfallrate im Erwachsenenalter: Männer 31%, Frauen 8%).
Je mehr Jugendurteile gegen eine Person ausgesprochen wurden, desto häufiger kommt es zu einer Verurteilung im Erwachsenenalter. Bei den Minderjährigen, die einmal, zweimal, dreimal bzw. viermal und häufiger strafrechtlich verurteilt wurden, beträgt die Rückfallrate 20 Prozent, 34 Prozent, 49 Prozent bzw. 64 Prozent.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Rückfall im Erwachsenenalter zum Teil vom Schweregrad der Straftaten im Jugendalter abhängt. Die Wiederverurteilungsrate im Erwachsenenalter beläuft sich bei den Jugendlichen, die ausschliesslich Übertretungen begangen hatten, auf 17 Prozent, und bei Minderjährigen, die ein Vergehen oder Verbrechen begangen hatten, auf 29 Prozent.
Der Rückfall im Erwachsenenalter scheint einen Zusammenhang damit aufzuweisen, dass die Jugendurteile eine Straftat gegen das BetmG oder das SVG zum Gegenstand hatten. In diesem Zusammenhang hat das BFS jedoch festgestellt, dass Diversität (d.h. die Nennung mehrerer Straftaten von unterschiedlicher Natur) die Rückfallwahrscheinlichkeit erhöht. Diversität tritt bei Straftaten gegen das BetmG oder das SVG häufiger auf als bei Straftaten gegen das StGB. Dies könnte erklären, warum sich die Rückfallwahrscheinlichkeit im Fall von Strassenverkehrsdelinquenz oder Handel mit Betäubungsmitteln erhöht.
Die Ergebnisse zum Einfluss des Alters sind mit Vorsicht zu behandeln, da nicht alle methodischen Stolpersteine vollends ausgeräumt werden konnten.
Allgemein geht aus den Daten hervor, dass Jugendliche, die in den letzten zwei Jahren vor der Volljährigkeit verurteilt wurden, als Erwachsene besonders häufig wiederverurteilt werden. Eine Ausnahme bilden hier die Ergebnisse zum Alter bei der ersten Verurteilung. Hier sind es diejenigen, die in sehr jungen Jahren ein Jugendurteil erhielten, die besonders häufig strafrechtlich in Erscheinung treten, sobald sie das Erwachsenenalter erreicht haben.
Wiederverurteilungen nach erstem Strafurteil als Erwachsener: Strafurteilsstatistik 1984 bis 2014
Bei der Berechnung der Rückfallraten nach Verurteilungsjahr (s. weiter oben) gelten durch den auf drei Jahre begrenzten Untersuchungszeitraum der Vorstrafen einige Verurteilte als Ersttäterin bzw. Ersttäter (Personen ohne Vorstrafen), die es eigentlich nicht sind. Beispielsweise gilt eine 2009 verurteilte Person, die bereits 2005 einmal verurteilt worden war, bei diesem Vorgehen als Ersttäterin bzw. Ersttäter, da zwischen den beiden Verurteilungen mehr als drei Jahre liegen.
Es gilt zu beachten, dass sich die Rückfallrate je nachdem, ob der Rückfall nach einer ersten oder einer zweiten Verurteilung berechnet wird, stark unterscheidet. Und auch wenn bei der Berechnung der Rückfallraten nach Verurteilungsjahr einige Ergebnisse differenziert nach Anzahl Vorstrafen ausgewiesen werden, blendet die auf drei Jahre vor dem Referenzurteil begrenzte Analyse den gewichtigen Einfluss der Vorstrafen auf das Rückfallrisiko zumindest teilweise aus.
Neben den jährlich veröffentlichten Rückfallzahlen möchte das BFS zudem Ergebnisse zugänglich machen, die anhand eines anderen methodischen Ansatzes ermittelt werden, nämlich mittels der Beobachtung einer Kohorte.
Konkret heisst dies, dass die kriminelle Laufbahn von 1966 in der Schweiz geborenen Schweizerinnen und Schweizern, die in den ersten zehn Jahren ihres Erwachsenenalters ein Vergehen oder Verbrechen gegen das Strafgesetzbuch (StGB), das Strassenverkehrsgesetz (SVG) oder das Betäubungsmittelgesetz (BetmG) begangen haben, untersucht wird. Grundlage dieser Untersuchung bilden die zwischen 1984 (Beginn der Volljährigkeit der beobachteten Personen) und 2014 (aktueller Datenstand) ins Strafregister eingetragenen Verurteilungen. Ziel der Langzeitstudie ist es, eine Personengruppe ab ihrer Erstverurteilung durch ein Erwachsenengericht zu beobachten.
Von diesen Personen mit Jahrgang 1966 wurden 8690 in den ersten zehn Jahren ihres Erwachsenenalters ein erstes Mal wegen eines Vergehens oder Verbrechens verurteilt und ins Strafregister eingetragen.
Diese Gruppe von 8690 Ersttäterinnen und Ersttätern wurde über einen Zeitraum von neun Jahren nach dem ersten Urteil beobachtet. In diesem Zeitraum begingen 38% von ihnen eine weitere Straftat, für die sie verurteilt und ins Strafregister eingetragen wurden.
Diese Gruppe von 3306 erstmalig Rückfälligen wurde anschliessend während weiteren neun Jahren ab der zweiten Verurteilung beobachtet. In diesem Zeitraum begingen 51% von ihnen eine weitere Straftat, die zu einer dritten Verurteilung und einem dritten Strafregistereintrag führte.
Die Rückfallraten steigen somit mit der Zahl der durch ein Erwachsenengericht ausgesprochenen Urteile (am Ende des Beobachtungszeitraums waren es 38% Rückfällige mit einer Vorstrafe und 51% Rückfällige mit zwei Vorstrafen).
Nach dem Einfluss der Vorstrafen soll nun der Einfluss der persönlichen Merkmale der verurteilten Personen untersucht werden, d.h. ihr Alter und ihr Geschlecht.
Der Vergleich der Rückfallraten nach Alter zeigt: Je jünger die Person bei der ersten Straftatbegehung ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit einer zweiten und dritten Verurteilung, wobei für alle Personen immer der gleiche Beobachtungszeitraum von neun Jahren gilt.
Zwischen Tatalter und Rückfall besteht eine negative Korrelation. Die Rückfallrate liegt bei den Personen, die ihre erste Straftat mit 18 Jahren begangen haben, bei 49% und beträgt bei erstmals im Alter von 26 Jahren straffällig gewordenen Verurteilten 29%.
Betrachtet man das Geschlecht der Verurteilten, so zeigt sich, dass Männer nicht nur bei den Ersttätern stärker vertreten sind als Frauen, sondern auch bei den erstmalig Rückfälligen (Rate des ersten Rückfalls nach neun Jahren bei den Männern: 40%; bei den Frauen: 26%).
Nach einer zweiten Verurteilung ist die Rückfallrate der Frauen hingegen leicht höher als die der Männer (Rate des zweiten Rückfalls bei den Männern: 51%; bei den Frauen 53%).
Dieser Befund kann auf zwei Arten ausgelegt werden: Entweder man geht von der geringen Differenz der zweiten Rückfallrate zwischen Männern und Frauen aus und nimmt an, dass das Geschlecht bei fortgeschrittener Delinquenz keine grosse Rolle mehr spielt. Oder man geht von einer effektiv vorhandenen Differenz aus und nimmt an, dass der Ausstieg aus der Kriminalität bei den rückfälligen Frauen seltener ist als bei den rückfälligen Männern.
Neben den Vorstrafen, dem Geschlecht und dem Alter, die bei Rückfällen eine wichtige Rolle spielen, sind die Rückfallraten auch von der Art der Straftaten bei der ersten Verurteilung abhängig. Betrifft die Erstverurteilung eine Straftat gegen das BetmG, beträgt die Rate des ersten Rückfalls am Ende des Beobachtungszeitraums 52%; ohne Straftat gegen das BetmG liegt sie bei 37%.
Ein ähnlicher Unterschied ist auch beim zweiten Rückfall mit Raten von 61% gegenüber 50% zu beobachten. Die Begehung eines Verbrechens oder Vergehens gegen das BetmG zu Beginn der kriminellen Laufbahn stellt somit einen Risikofaktor dar.
Die Art der Straftaten bei der ersten Verurteilung wirkt sich nicht nur auf die Rückfallrate aus, sondern sie hat auch einen Einfluss auf die Art der Gesetze, gegen die beim zweiten und dritten Urteil (d.h. beim ersten und zweiten Rückfall) verstossen wurde.
Diese Grafik bietet einen Überblick über den Einfluss der Art der Straftaten und wirft die Frage nach der Spezifität der kriminellen Karriere auf.
Ein kriminelles Verhalten ist spezifisch, wenn aus dem Strafregister hervorgeht, dass eine verurteilte Person hauptsächlich Straftaten gegen dasselbe Gesetz begeht (spezifischer Rückfall).
Bisher haben wir uns nur mit dem gesamthaften Rückfall beschäftigt, d.h. wenn eine verurteilte Person innerhalb des Beobachtungszeitraums erneut eine Straftat begangen hat, ohne dass dabei das betroffene Gesetz (StGB, BetmG oder SVG) eine Rolle spielte. Dem unterschiedlichen Verhalten von Strassenverkehrsdelinquenten sowie von Personen, die mit Betäubungsmitteln handeln, wurde somit nicht Rechnung getragen (vgl. die Verteilung der Straftaten in der obigen Grafik).
Um dieses Manko zu beheben, werden für jedes - bei der ersten Verurteilung - betroffene Gesetz (StGB, BetmG oder SVG) die Raten des spezifischen und des gesamthaften Rückfalls verglichen.
Die Unterscheidung zwischen den beiden Rückfallarten ist wichtig, denn die Differenz zwischen der Rate des gesamthaften und des spezifischen Rückfalls zeigt das Mass der Spezifität auf: Je stärker sich die Rate des spezifischen vom gesamthaften Rückfall unterscheidet, desto mehr neigen die untersuchten Personen zu Diversität in ihrem straffälligen Verhalten.
gesamthaft | spezifisch | Differenz 1) | ||
StGB | erster Rückfall | 39% | 20% | 19% |
zweiter Rückfall | 54% | 41% | 14% | |
SVG | erster Rückfall | 38% | 29% |
9% |
zweiter Rückfall | 48% | 37% | 11% | |
BetmG | erster Rückfall | 52% | 19% | 33% |
zweiter Rückfall | 61% | 28% | 33% |
Strafurteilsstatistik (SUS), Stand des Strafregisters: 30.04.2016
Bei einem Referenzurteil aufgrund eines Vergehens oder Verbrechens gegen das SVG verstossen drei von vier Rückfälligen erneut gegen dieses Gesetz. Dies deutet auf eine erhöhte Spezifizät hin. Bei einem Referenzurteil aufgrund eines Vergehens oder Verbrechens gegen das BetmG zeigt sich hingegen bei den nachfolgend begangenen Straftaten ein sehr unterschiedliches Tatverhalten (nur etwas mehr als jeder dritte Rückfall betrifft erneut das BetmG).
Aufgrund dieser Feststellungen muss man sich fragen, ob das Rückfallrisiko nicht auch von Diversität der Verurteilten abhängt:
Steigt die Wiederverurteilungsrate von Verurteilten mit zunehmender Anzahl übertretener Gesetze an?
Um diese Frage zu beantworten, wurden die Rückfallraten dahingehend miteinander verglichen, ob das Ersturteil Straftaten gegen eines, zwei oder alle drei der berücksichtigten Gesetze betrifft.
Dabei zeigte sich: Je mehr Gesetze beim Referenzurteil betroffen sind, desto höher ist die Rückfallrate. Konkret heisst dies, dass die Rate des ersten Rückfalls bei den Personen, die wegen Straftaten gegen drei Gesetze verurteilt wurden (75%), in den neun Jahren nach der Erstverurteilung zweimal höher ist als bei den Personen, die wegen Straftaten gegen ein einziges Gesetz verurteilt wurden (37%).
Es muss aber erwähnt werden, dass sowohl zwischen Diversität und Art der begangenen Straftaten als auch zwischen Ausmass der kriminellen Laufbahn «vor dem Ersturteil» und Diversität ein Zusammenhang besteht. Folglich bestätigt diese letzte Grafik lediglich die bereits beschriebenen Ergebnisse, nämlich, dass das Rückfallrisiko mit zunehmender Anzahl begangener Straftaten und insbesondere bei Personen, die wegen Straftaten gegen das BetmG verurteilt wurden, ansteigt.
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